Michel Foucault: Der Begründer von “Wokeness”
Der französische Postmodernist gehört zu den meistzitierten Akademikern. Seine pessimistische Philosophie prägt unseren politischen Diskurs bis heute in mancher Hinsicht.
Bild: Michel Foucault. Alexis Duclos, Shutterstock.com
Trump, Corona, Klimawandel, Musk, BLM, Ukraine, Palästina, LGBT, #MeToo, Antifa – all diese Themen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu einem ideologischen Cluster verdichtet. Kennt man die Haltung einer Person zu einem dieser Punkte, lässt sich ihre Position bei den anderen oft vorhersagen. Insbesondere sind diese Themen zur Agenda der politisch Linken geworden.
Die Meta-Parteiagenda
Traditionell waren politische Ideologien eher eng gefasst. Der Feminismus konzentrierte sich auf Frauenrechte, ohne zwingend eine Haltung zu politischen Konflikten vorzugeben. Sogar Sozialismus oder Marxismus legten den Schwerpunkt auf ökonomische Analysen. Klimawandel wäre nicht unbedingt eine Parteiposition gewesen. Konservatismus oder Liberalismus waren breiter, liessen aber bei spezifischen Fragen ein Spektrum an Meinungen zu.
Heute begegnen wir einer neuen Form politischer Ideologie. Was verbindet Klimawandel mit BLM? Gemeinsam ist ihnen der moralische Aspekt: Man befürwortet sie oder lehnt sie nicht aufgrund logischer Argumente ab, sondern weil man ein “guter Mensch” ist. Die scheinbar inkohärenten Positionen werden durch eine gemeinsame Ethik und Weltanschauung verbunden.
Der Zusammenbruch der monotheistischen Ordnung
1882 erklärte Friedrich Nietzsche: “Gott ist tot!” Dies markierte den Endpunkt einer langen Entwicklung in der modernen Philosophie, die im 16. Jahrhundert begann. Die Aufklärung hatte die Religion als untragbar erklärt. Damit brach nicht nur eine Weltanschauung und ein Moralsystem zusammen, sondern gewissermassen eine ganze Welt.
Jahrtausendelang dominierte der Monotheismus das Denken und postulierte, dass die ultimative Realität und das absolut Gute eine Einheit seien. In einer idealen psychischen und sozialen Konfiguration wären alle Motivationen, Emotionen, Handlungen und Gedanken dieser Einheit untergeordnet. Doch zwischen 1600 und 1900 zerbrach dieses System.
Nietzsche prognostizierte, dass dieser Kollaps zu psychologischer Desorientierung und zum Totalitarismus des 20. Jahrhunderts führen würde. Ohne ein einendes Zentrum könnte der Mensch in einen hobbesschen Naturzustand zurück fallen. Einzelne Motivationen und Weltanschauungen ringen um den höchsten Platz in der Wertehierarchie – einen Platz, den einst Gott innehatte.
Foucaults Ablehnung der Moderne
Michel Foucault (1926–1984), einer der meistzitierten Akademiker weltweit, gilt als Begründer des Postmodernismus, der sich gegen die Werte der Aufklärung wandte. Er erkannte, dass Christentum und Moderne vergangen waren. In Abwesenheit dieser Strukturen fallen wir, ihm zufolge, in den “Default-Modus” zurück: Primitive Triebe, wie Machtstreben und Sexualität dominieren. Ohne eine einende Wertestruktur degeneriert die Gesellschaft zu einem reinen Machtkampf, in dem Macht “in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt – erzeugt” wird, wie Foucault in “Der Wille zum Wissen” (1976) schreibt.
In “Die Ordnung der Dinge” (1966) formuliert er:
“Es ist nicht der Mensch, der Gott ersetzt, sondern das anonyme Denken – ein Denken ohne Subjekt.”
Die Philosophie des Zweijährigen
Dies spiegelt sich in der kindlichen Entwicklung wider. Ein Kleinkind wird von unkontrollierten Emotionen und Verlangen beherrscht. Mit der Zeit lernt es Belohnungsaufschub und reguliert Bedürfnisse zugunsten höherer Ziele. Religion erfüllte lange diese Rolle der höchsten Integration.
Für Foucault ermöglicht das Fehlen einer monotheistischen Struktur beliebige Interpretationen. Macht und Triebe treiben das Handeln.
Ein Moralitätsvakuum
Der Zerfall des Christentums führte zu naturalistischen Weltanschauungen, in denen nur die materielle Welt zählt. Dies schuf ein Moralitätsvakuum und ein Verlangen nach Orientierung. Ohne christliche Epistemologie fehlte die Basis für Rationalität.
Nietzsche sah hier den Boden für Marxismus: Die materielle Dimension wurde dominant. Die Ethik reduzierte sich auf instinktive Empathie. Marx formulierte 1875 in der “Kritik des Gothaer Programms”:
“Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!”
Dies führte zur Betonung bedingungsloser Empathie als höchstem Gut. Die fehlende Einheit devolvierte zu primitiven Moralitäten, wo Minderheiten bemitleidenswert als “Unterdrückte” gelten.
Gegenaufklärung und ihre Konsequenzen
Die Aufklärer nahmen an, dem Universum liege eine logische Struktur zugrunde, die erforschbar sei. Doch früh entwickelte sich eine Gegenaufklärung: Die Wissenschaft zeigte zunehmend, dass ein Gott – insbesondere der der Bibel – kaum oder gar nicht zu beweisen ist. Glaube ohne Beweis ist als unwissenschaftlich zu verteufeln. Aber wenn Rationalität das Leitprinzip sein soll, warum sollte man das Universum überhaupt erforschen? Wer sagt, dass Wissenschaft nicht nur den materiellen Fortschritt der Reichen fördert, um die anderen zu unterdrücken? Wer sagt, dass wissenschaftliche Wahrheit positive Veränderungen bringt? Sie könnte auch ein weiteres Mittel zur Unterdrückung sein. Die Frage der Moral trat in den Vordergrund. Die religiöse Ethik wurde abgeschafft und, mangels wissenschaftlichen Fundaments, verteufelt. Übrig blieb: Nichts.
Foucault sah Narrative als subjektiv und machtbesessen. Ehrlicher Diskurs sei illusorisch; Macht und Sexualität treiben alles.
Doch Narrative lassen sich zumindest funktional testen: Fördern sie Wohlergehen oder Zerstörung?
Die Rückkehr zu einem kohärenten Narrativ
Der Marxismus erwies sich als repressiv. Die Aufklärung schuf Wohlstand, basierend auf theologischen Fundamenten, die sie selbst untergrub. Postmodernisten erklärten die Moderne für gescheitert.
Foucault legte die Grundlage für heutige Diskurse. Postmodernismus lehnt Meta-Narrative ab; die Inkohärenz ideologischer Cluster ist beabsichtigt. Es geht um Machtkampf, nicht Überzeugung.
Michel Foucault, bis heute der meist zitierte Akademiker, schuf den Grossteil des Stoffes für den heutigen politischen Diskurs und vieles mehr. Er lehnte Rationalität und Meta-Narrative ab und empfahl gleichzeitig, die Welt als ein Schauplatz für Unterdrückung und Machmotivationen zu betrachten:
“Das Proletariat führt nicht Krieg gegen die herrschende Klasse, weil es diesen Krieg für gerecht hielte. Das Proletariat führt Krieg gegen die herrschende Klasse, weil es zum ersten Mal in der Geschichte die Macht ergreifen will.”
Was denken Sie über Michel Foucault und seine Ideen? Hat er auch Ihre Gedanken beinflusst? Schreiben Sie’s in die Kommentare!
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