Atommüll als Ressource? – Amerika auch hier Pionierin
In Tennessee, USA, entsteht erstmals eine privat finanzierte Recyclinganlage für Kernbrennstoff. Das Projekt zeigt, wie unterschiedliche Länder mit dem Problem umgehen – und wo die Schweiz nachhinken könnte.
Bild: “Oklo's Advanced Fuel Center”, Oklo
Gestern, am 4. September 2025 kündigte das kalifornische Start-up Oklo Inc. den Bau einer neuen Anlage in Oak Ridge (Tennessee) an. Dort, auf historischem Boden der amerikanischen Nuklearforschung, soll erstmals in den USA ein privat finanziertes Recyclingzentrum für abgebrannten Kernbrennstoff entstehen. Die Anlage soll bis zu 1,7 Milliarden US-Dollar kosten, 800 Arbeitsplätze schaffen und Anfang der 2030er Jahre vollständig operativ sein.
Bisherige Verfahren: PUREX und seine Risiken
Recyclingverfahren für Atommüll gibt es schon lange. Das wichtigste weltweit heisst PUREX (Plutonium Uranium Redox EXtraction). Dabei wird abgebrannter Brennstoff chemisch aufgelöst und dann in reines Uran und reines Plutonium zerlegt.
In La Hague (Frankreich) werden so jedes Jahr rund 1’700 Tonnen Brennelemente verarbeitet.
Auch Deutschland schickte bis 2005 abgebrannte Brennelemente nach Frankreich und Grossbritannien (Sellafield). Seitdem ist die Wiederaufarbeitung dort endgültig verboten.
Durch die Abtrennung von Plutonium entsteht jedoch ein zentrales Risiko: Solches Material könnte für Atomwaffen genutzt werden.
Kritiker lehnen seit langem die Wiederaufarbeitung von Nuklearabfällen deshalb ab. Sie warnen, die Lieferkette könne ein Ziel sein, dass Materialien für eine primitive Atombombe erbeutet werden könnten.
Der frühere US-Präsident Gerald Ford stoppte die Wiederaufarbeitung 1976 aus “Proliferationsbedenken”. Präsident Ronald Reagan hob das Moratorium 1981 zwar wieder auf, doch die hohen Kosten verhinderten den Bau neuer Anlagen.
Selbst Frankreich subventioniert La Hague massiv, während Grossbritannien 2018 aus Kostengründen endgültig ausstieg und die Anlage in Sellafield schloss.
Pyroprocessing: Oklos neuer Ansatz
Oklo setzt nicht auf PUREX, sondern auf ein elektrochemisches Verfahren, genannt “Pyroprocessing”. Dabei werden die wertvollen Materialien aus verbrauchtem Brennstoff elektrochemisch herausgelöst und in einer neuen Form verarbeitet.
Ergebnis: Kein reines Plutonium, sondern eine metallische Brennstoffmischung, die direkt in Schnellreaktoren genutzt werden kann – darunter Oklos eigenes Modell “Aurora”, das nur alle zehn Jahre nachgeladen werden müsse.
Oklo-CEO Jacob DeWitte betont, Plutonium und Uran seien in diesem Prozess nicht rein, sondern mit anderen Substanzen vermischt und deshalb nicht waffenfähig.
Laut Oklo könnte das Recycling des US-Altbestands an Atommüll Energie im Umfang des Fünffachen der Ölreserven Saudi-Arabiens freisetzen.
Doch auch Pyroprocessing produziert Abfälle – etwa verstrahlte Salze und Strukturmaterialien. Endlagerung bleibt also notwendig.
Im Mai 2025 unterstützte Präsident Trump die Technologie mit einem Executive Order “für die schnelle Entwicklung und den Einsatz fortgeschrittener Nukleartechnologien”.
Die Schweiz: Fokus Tiefenlager
In der Schweiz ist die Wiederaufarbeitung seit 2006 verboten, die Energiestrategie 2050 hat diesen Kurs bestätigt. Stattdessen setzt man auf ein geologisches Tiefenlager im Zürcher Weinland (Nördlich Lägern).
Politisch bewegt sich zwar etwas: Der Bundesrat schlug im August 2025 vor, das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufzuheben, um künftige Optionen offen zu halten. Doch selbst wenn neue Reaktoren dereinst gebaut würden, bleibt die Wiederaufarbeitung absehbar tabu.
Internationale Vergleiche
Japan arbeitet seit Jahrzehnten am gigantischen Rokkasho-Projekt, das jedoch immer wieder verschoben wurde und frühestens 2026/27 in Betrieb gehen könnte.
Russland baut seine Kapazitäten konsequent aus: Im Juli 2025 ging eine neue Ausbaustufe des Werks Zheleznogorsk in Betrieb.
Frankreich hält an La Hague fest, trotz hoher Kosten und Kritik.
Grossbritannien hat die Wiederaufarbeitung 2018 endgültig eingestellt und konzentriert sich auf Zwischen- und Endlagerung.
Fazit
Während Frankreich, Russland und Japan auf staatliche oder staatsnahe Betreiber setzen, ist Oklo ein privates Start-up. Das macht das Projekt in Tennessee international einzigartig und potenziell interessanter.
Das Projekt in Tennessee könnte zeigen, dass sich Atommüll in grossem Stil nutzen lässt, statt ihn nur teuer zu lagern. Für die USA ist es auch ein geopolitisches Signal: Unabhängigkeit im Brennstoffkreislauf und ein Innovationsschub für die Atomindustrie.
Doch auch die Risiken sind präsent – von hohen Kosten über Sicherheitsfragen bis zu fortwährend ungelösten Entsorgungsproblemen.
Die Schweiz bleibt auf Distanz: Hier liegt der Fokus auf dem Tiefenlager – ein langfristiges Generationenprojekt.
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Quellen
- Oklo: Pressemitteilung Tennessee Fuel Recycling Facility (4.9.2025)
- Oklo: Fuel Recycling (Unternehmensseite)
- World Nuclear News: Oklo demonstrates fuel recycling process (2023)
- SEC: Oklo Prospectus – Energieäquivalenz (2025)
- Union of Concerned Scientists: The Pyroprocessing Files (2017)
- White House: Executive Order – Advanced Nuclear (Mai 2025)
- World Nuclear Association: Processing of Used Nuclear Fuel (PUREX, Pyro)
- Wikipedia: Nuclear Reprocessing (Ford/Reagan Policy)
- Arms Control Association: U.S. Reprocessing Risks (2005)
- The Guardian: Sellafield cleanup / Thorp closure (2018)
- GOV.UK: End of reprocessing at Thorp (2018)
- World Nuclear Association: Nuclear Power in Germany (Reprocessing ban)
- BASE: Repatriation of waste from reprocessing
- World Nuclear Association: Nuclear Power in Switzerland (Verbot Wiederaufarbeitung)
- Nagra: Nördlich Lägern Tiefenlager (2025)
- ENSI: Repository site proposal Switzerland
- World Nuclear News: Swiss legislative proposal to lift new reactor ban (Aug 2025)
- IPFM Blog: Japan Rokkasho delayed until 2027 (2024)
- World Nuclear News: Further delay to Japanese reprocessing & MOX (2024)
- World Nuclear News: Russia Zheleznogorsk expansion (July 2025)
- IPFM Blog: Zheleznogorsk operations (July 2025)
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