School Shooting: Ein waffenrechtliches oder archetypisches Drama?

Nach dem Massaker in Minneapolis diskutieren die Medien über Waffenrecht und Politik. Doch das Drama weist tiefere psychologische und theologische Dimensionen auf.

CHEX Redaktion 31. August 2025, 08.00 Uhr

Titelbild: Generiert von ChatGPT

Am Morgen des 27. August in Minneapolis setzte Robert Westman seinen Plan eines Attentats auf die Kirche einer katholischen Schule um. Er tötete zwei Kinder während des Gottesdienstes, verletzte zahlreiche weitere und brachte sich danach auf dem Parkplatz vor der Schule um. Westman war selbst früher Schüler der Kirche, die er attackierte.

Reaktionen der Leitmedien

Unmittelbar nach der Tat richtete sich der Fokus der traditionellen Medien vor allem auf Waffenrecht und Politik. Die New York Times titelte:

“Verdächtigte Täterin von Minneapolis kannte ihr Ziel, aber das Motiv ist ein Misterium”

Untertitel: “Die Schützin, die am Mittwoch eine katholische Schule angriff, veröffentlichte Videos und Schriften in den sozialen Medien, die eine Vielzahl von Klagen und Obsessionen offenbarten.”

In dem 622 Worte langen Artikel verwies die Zeitung 12-mal auf “sie“, “ihre“ oder “Ms. Westman“. Obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt war – und auch im Text erwähnt wurde –, dass der Täter ein gebürtiger Mann ist, wurde versucht, ihn weder als Mann, noch als Transsexuellen darzustellen.

Deutschsprachige Medien, wie die BZ schrieben:

Amok-Schütze tötet zwei Kinder – FBI prüft möglichen Terrorakt und sucht nach Motiv

“Warum der Mann Anfang 20 geschossen hat, ist unklar. … Die Polizei [sagte], auch sei kein Motiv für die Bluttat bekannt.”

Unmissverständlich kommuniziert

Zu diesem Zeitpunkt kursierten jedoch bereits Videos eines Manifest, das Westman selbst ins Netz gestellt hatte. Die Videos wurden vom FBI kurz darauf gelöscht, aber unter anderem in der New York Post transkribiert:

“Ich behalte [lange Haare] nur, weil es so ziemlich mein letzter Rest davon ist, Trans zu sein. Ich bin es leid, trans zu sein, ich wünschte, ich hätte mich niemals selbst gehirngewaschen“.

“Ich weiss, dass ich keine Frau bin, aber ich fühle mich definitiv auch nicht wie ein Mann.“

Robert Westman hat noch mit 17 Jahren, als Minderjähriger und mit der Unterschrift seiner Mutter, seinen Namen zu “Robin” gewechselt.

Der Attentäter wollte unmissverständlich etwas kommunizieren:

“Ich glaube nicht, dass ich mich einfach so aus dem Leben nehmen könnte. Ich müsste mit meiner letzten Tat noch etwas tun.“

Dazu veröffentlichte er Bilder seines Waffenarsenals, versehen mit Slogans wie “Tötet Trump jetzt!“, “6 Millionen [Juden] waren nicht genug“ oder Namen anderer Attentäter. Auf eine seiner Waffen schrieb er: “Wo ist dein Gott?“

Bilder: “Robin W”, YouTube

Problem “Schusswaffen”?

Eine häufige Erklärung für Massenattentate in den USA ist die Anzahl und Zugänglichkeit von Schusswaffen. In einem der wenigen Artikel der NZZ über das Attentat schrieb Meret Baumann in 2’500 Worten über:

Gewalt und Waffen in den USA: Zwei Kinder durch Schüsse an Schule in Minneapolis getötet”

Untertitel: “In keinem anderen Land der Welt sind Schusswaffen so verbreitet wie in den USA, und nirgendwo sonst kommt es in solcher Regelmässigkeit zu verheerenden Massakern.”

Bei Vorschlägen zur Einschränkung der Anzahl Schusswaffen gibt es aber auch auch eine andere Perspektive:

Nur, wer die Kapazität zum Bösen, zur Aggression, zur Gewalt hat und sie nicht braucht, ist gut. Beispielsweise die bewaffneten Amerikaner, die Europa und die Welt vor den Nazis gerettet haben.

Eine Gesellschaft mit weniger oder keinen Schusswaffen muss nicht besser oder sicherer werden, aber sie wird harmloser. Und die verbliebenen (illegalen) Waffen enden in den Händen der Bösen, die alles andere als harmlos sind.

Waffen kann man als so neutral wie Geld betrachten. Die Moralität, oder die psychische Stabilität der Person, die es in den Händen hält, ist entscheidend.

Psychische Gesundheit

Die psychische Gesundheit des Täters als Ursache ist ein anderer Analyseansatz. Den Attentäter für psychisch krank und verstört zu halten, erklärt vieles. In seinem Manifesto gibt es auch genügend Anzeichen dafür: Hilferufe, Klageschriften, Anzeichen von Depressionen und anderen psychopathologischen Zuständen.

Seine Botschaften zeigen auch, dass er unter seiner Trans-Identität litt und wünschte, er hätte sich nie “gehirngewaschen”. Unter anderem der Bürgermeister von Minneapolis oder Editoren der Wikipedia-Seite von Westman wollen die Trans-Identität aber überhaupt nicht zum Thema machen, weil es der “Trans-Community” schaden könne.

Andererseits lässt sich ein schockierend klarer, roter Faden in den Botschaften des Täters erkennen. Man könnte auch zum Schluss kommen, dass er weder krank noch verstört war. Denn, obwohl es Anzeichen dafür geben mag, müsste man sonst die meisten Gräueltaten psychischer Krankheit attribuieren.

Eine andere Sicht auf das Debakel ist, dass der Täter nicht krank, sondern böse war.

Wo ist dein Gott?

In einem der YouTube-Videos zeigt Westman sein Notizbuch, in das er ein Diagramm der Kirche gezeichnet hat, die er später attackieren würde. Darauf sticht er mit einem Messer ein:

Bild: NewYork Post/“Robin W”, YouTube

In einem anderen Video ist eine Mannscheibe aus Karton mit einem Jesusbild auf dem Kopf zu sehen.

Bild: The Economic Times/”Robin W”, YouTube

Daraus ergibt sich eine zusätzliche Erklärungweise: Westman kämpfte mit der Welt auf der theologischen Ebene – er kämpfte mit, und zielte auf, Gott. Deswegen attackierte er eine Kirche, deswegen hatte er ein Jesus-Fadenkreuz aufgestellt, deswegen auch die Frage auf seiner Waffe: “Wo ist dein Gott?” Das sind keine Zufälle oder wirre Delusionen.

Wieso wollte er sich aber expressis verbis nicht “einfach” das Leben nehmen, sondern zuerst noch möglichst viele religiöse Kinder (Unschuldige) töten?

Der Attentäter wollte sich an Gott und der Welt für den Miserfolg und das Leid seines Lebens rächen. Mit dem Jesus im Fadenkreuz zielte er auf das Bild desjenigen, der den Miserfolg und das Leid anderer auf sich selbst nimmt, um sie mit Gott und der Welt zu versühnen.

Christus ist der Archetyp (ein Narrativ-Muster, das nicht extremer sein könnte) eines maximal guten, maximal unschuldigen, maximal nächstenliebenden, der maximal zu Unrecht, mit maximal viel Leid, usw… sterben muss.

Im mythologischen Raum gehört dazu auch das andere Extrem: der Archetyp des maximalen Widersachers, des Feindes von Gott, der Welt und dem Sein als solches. Es ist der Antichrist, der Faust, der biblische Kain, oder der Teufel. Ähnlich wie Faust wollte Westman (s)ein Ideal, das Gute, die ganze Welt zerstören.

Denn alles was entsteht, ist's Wert, dass es zugrunde geht. D'rum besser wär's, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz: "das Böse" nennt, mein eigentliches Element.
— Mephistopheles, Faust, J. W. v. Goethe

In den Abgrund blicken

Welche der Lesarten das Dramas im Kern trifft, bleibt umstritten. Vielleicht liegt gerade darin das Problem: Ein solches Ereignis entzieht sich einfachen Erklärungen.

Auf alle Fälle wurden wir und vor allem die Direktbetroffenen, zwangsmässig mit einem Bösen konfrontiert, das wir selten so direkt sehen. Dem können wir uns nicht entziehen. Im Gegenteil, wir müssen es konfrontieren, nur so lässt sich das Trauma lindern. Alle anderen Hypothesen – wegschauen – wären absurd.

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    Bildnachweis: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.