James Lindsay: Der amerikanische Kulturkämpfer im Porträt

Wer Begriffe, wie “Woke” und “Critical Race Theory” verstehen will, stösst zwangsläufig auf ihn.

CHEX Redaktion
2. September 2025

Bild: Gage Skidmore, James Lindsay am TurningPoint USA AmericaFest 2022

In alternativen Medienkreisen in den Vereinigten Staaten kennt man James Lindsay – in der Schweiz dagegen nicht. Der ehemalige Mathematiker ist heute einer der Akteure, der den Kulturkampf in Amerika prägt.

Vom Mathematiker zum Gesellschaftskritiker

James Lindsay (*1979) promovierte 2010 in Mathematik an der Universität Tennessee. Weil er jedoch, laut eigenen Angaben, zunehmend frustriert war mit dem Zustand der Akademie, wandte er sich nach Erhalt seines Doktortitels davon ab. Seine Karriere nahm eine ungewöhnliche Wendung: Er versuchte sich zunächst als Massagetherapeut, bevor er sich zunehmend als unabhängiger Intellektueller positionierte – beides ungewöhnlich und in Kombination noch seltener.

Der “Grievance Studies”-Skandal

Als er sich im Massageberuf intellektuell zunehmend langweilte, begann Lindsay ein kontroverses Projekt: Zwischen 2017 und 2018 verfasste er gemeinsam mit dem amerikanischen Philosophieprofessor Peter Boghossian und der britischen Autorin Helen Pluckrose eine Serie fingierter wissenschaftlicher Artikel. Ziel war es zu prüfen, wie leicht sich offensichtliche Ideologie in Fachzeitschriften platzieren lässt.

Mehrere Texte wurden tatsächlich angenommen oder veröffentlicht, bevor sie nach Aufdeckung zurückgezogen wurden:

  • Menschliche Reaktionen auf Vergewaltigungskultur und queere Performativität in städtischen Hundeparks in Portland, Oregon

  • In Fat Studies: Wer sind sie, zu urteilen? Die Überwindung der Anthropometrie durch Fat Bodybuilding

  • Hinein durch die Hintertür: Eine Herausforderung homohysterischer, transhysterischer und transphober Haltungen heterosexueller Männer durch die Nutzung rezeptiver penetrativer Sexspielzeuge

Andere Texte waren zwar akzeptiert, aber noch nicht publiziert, als der Skandal aufflog – darunter feministisch überarbeitete Passagen aus Hitlers Mein Kampf:

  • Unser Kampf ist mein Kampf: Solidaritätsfeminismus als intersektionale Antwort auf Neoliberalismus und Choice-Feminismus

Die Aktion löste weltweit eine Debatte aus. Befürworter sprachen von einem Beweis für die ideologische Unterwanderung der Akademie. Kritiker hielten das Ganze für einen “Hoax” ohne wissenschaftliche Aussagekraft.

Schlagwort “Woke”

Lindsay war überzeugt, den ideologisch korrumpierten Zustand der Wissenschaft offengelegt zu haben. Um die Wurzeln dieser Ideologie weiter zu untersuchen, gründete er die Plattform New Discourses. Sie versteht sich als “Platz für politisch Obdachlose” und dient ihm als Forum für Texte, Podcasts und Vorträge.

Er interpretiert “Woke” als Fortsetzung marxistischer Ideologien – eine Art kultureller “Maoismus”, der Universitäten, Schulen und Medien unterwandere. Seine Bücher, darunter Cynical Theories (2020, mit Helen Pluckrose) und The Marxification of Education (2023), entfalten diese These ausführlich.

“Woke Left” und “Woke Right”

Bemerkenswert ist, dass Lindsay inzwischen nicht nur die linke “Woke-Bewegung” kritisiert, sondern auch von einer “Woke Right” spricht. Seine Argumentation:

  • Woke Left: Bewegungen, die soziale Gerechtigkeit über Rasse, Geschlecht oder Identität definieren und dafür radikale sprachliche und institutionelle Veränderungen einfordern.

  • Woke Right: Rechte Bewegungen, die spiegelbildlich eigene absolute Identitäten (Nation, Religion, Tradition) zur Waffe machen und ähnlich intolerant auftreten.

Für Lindsay stellen beide Strömungen eine Gefahr dar: Der Streit um Werte und Sprache werde zunehmend totalitär geführt. “Wokeness” selbst verfolgt er bis zu einem quasi-religiösen Ursprung zurück. Er bezeichnet es als eine Art gnostische Häresie: die Haltung, man habe eine geheime Wahrheit entdeckt, die “die Mächtigen” unterdrücken wollten. Zwangsläufig führe dies zur Erhebung von Anführern, die diese Wahrheit verkünden – ein Muster, das er bei Figuren wie Hitler oder Marx wiederzuerkennen meint.

Ein polarisierender Aufklärer

Lindsays Unterstützer sehen in ihm einen Aufklärer, der mutig Ideologien an Universitäten und Schulen offenlegt. Kritiker halten ihn für einen Kulturkämpfer, der mit alarmistischen Begriffen selbst eine Verschwörungsrhetorik bedient. Besonders seine Definition einer “Woke Right”, die er nach der letzten US-Wahl formulierte, brachte ihm scharfe Kritik sowohl von ultrakonservativer als auch von linker Seite ein.

Relevanz für die Schweiz

Warum sollte man in der Schweiz von James Lindsay wissen?

  • Viele Themen der links-progressiven Agenda der letzten Jahre stützen sich auf akademische Theorien und Diskurse.

  • Auch bei uns hat die “Woke-Bewegung” viele Untersützer, sowie Kritiker.

  • Begriffe wie “Woke” oder “Cancel Culture” gelangen über Medien und soziale Netzwerke in die Schweiz – oft ohne Kenntnis von den Ursprüngen der Ideen.

Wer diese Diskurse intellektuell nachvollziehen will, findet bei Lindsay einen Einstieg in die unterliegende Literatur und Theorie und die Erkenntnis, dass es eine solche überhaupt gibt.

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Kommentare

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    Liebe Verschwörungstheoretiker,

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    School Shooting: Ein waffenrechtliches oder archetypisches Drama?