Etwas Meritokratie zum Schulanfang?
Die Währungen der Leistung: Roland Reichenbach zeigt, warum Anreize unverzichtbar sind – und weshalb Gleichmacherei Motivation und Fortschritt zerstört.
Letztes Jahr, zum Schulanfang, publizierte Nadja Pastega vom Tagesanzeiger ein Interview mit Roland Reichenbach. Der Erziehungswissenschaftler von der Uni Zürich erklärte dort: “Schule ohne Noten ist wie Kapitalismus ohne Geld – das funktioniert nicht.”
Folgende Anekdote ist wohl die bekannteste zu diesem Thema:
Als die Schüler sich über die ungerechte Verteilung der Noten beschweren, führt der Lehrer eine Durchschnittsnote für alle ein. Bei der ersten Prüfung ist der Klassenbeste frustriert, weil seine Note “gestutzt” wurde und der Schwache ist überglücklich für den Bonus. Bei der nächsten Prüfung lernen beide nur noch halb so viel, denn es wird ja sowieso jeweils nach unten und oben korrigiert. Bei der dritten Prüfung haben alle die Durchschnittsnote 3 und wollen wieder zurück zum alten System.
Diese Anekdote, oft als Stammtischgeschichte erzählt, illustriert Reichenbachs Vergleich. Doch was verbindet Schulnoten mit dem Kapitalismus? Wer will diese Systeme abschaffen, und warum funktioniert das laut Reichenbach nicht?
Die Philosophie der Meritokratie
Reichenbachs Aussage ist klar, aber implizit: Ohne die jeweiligen “Währungen” – Schulnoten und Banknoten – verlieren beide Systeme ihren Antrieb. Die Philosophie die den beiden Systemen unterliegt ist die Meritokratie, abgeleitet von merito (lateinisch: Verdienst) und kratos (griechisch: Herrschaft). Meritokratie bedeutet die Herrschaft des Verdienstes – nicht Anstrengung, Herkunft oder Status.
Die Anekdote zeigt, warum Anreize entscheidend sind. Sobald Leistung “umverteilt” wird, erlischt die Motivation. Der Klassenbeste sieht keinen Sinn mehr, sich anzustrengen, wenn sein Erfolg nivelliert wird; der Schwache hat keinen Anreiz zur Verbesserung, da er ohnehin profitiert. Reichenbach warnt:
“Zu behaupten, dass die Leistung nicht sinken würde, wenn man auf Noten verzichtet, ist fromm.”
Historischer Kontext: Der Aufstieg der Meritokratie
Unsere heutige, weitreichende Meritokratie ist eine Errungenschaft der Moderne. Vor der Aufklärung dominierten Aristokratie (Herrschaft durch Abstammung) oder Nepotismus (Bevorzugung von Verwandten). Mit der Aufklärung und der Entstehung des Kapitalismus wurde Verdienst zentral. Märkte belohnen Effizienz und Innovation, nicht Herkunft. Schulnoten verfolgen ein ähnliches Ziel: Sie messen Leistung, um Lernen und Fortschritt zu fördern.
Die philosophische Grundlage der Meritokratie ist die Anerkennung des intrinsischen, moralischen Werts jedes Menschen, unabhängig von Status oder Abstammung. Diese Idee betont individuelle Verantwortung und Leistung. Ohne dieses Fundament wackelt das gesellschaftliche Konstrukt von Kapitalismus und Meritokratie.
Gleichheit versus Gerechtigkeit
Reichenbach erkennt eine Strömung, die Meritokratie infrage stellt. Kritiker von Schulnoten oder Kapitalismus fordern oftmals “Gleichheit”, weil sie glauben, dass Noten oder wirtschaftlicher Erfolg die Schwachen benachteiligen. Doch wie die Anekdote zeigt, führt absolute Gleichheit zu Stagnation. Die sozialistische Vorstellung von “Gleichheit des Ergebnisses” steht im Gegensatz zur meritokratischen Chancengleichheit.
Die Kritik verkennt, dass der Starke nicht für seinen Aufwand, sondern für sein Produkt belohnt wird – um Anreize für Fortschritt zu schaffen. Reichenbach betont die Notwendigkeit von Anreizen:
“[Leistungsschwächere] brauchen nicht mehr Eigenverantwortung oder Selbstorganisation, sondern grössere Aufmerksamkeit.”
Chancengleichheit bedeutet, allen die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial auszuschöpfen, nicht Ergebnisse gleichzumachen.
Ausblick
Reichenbachs Warnung ist eindeutig: Ohne Noten wird die Schule dysfunktional, weil die Motivation erlischt. Dasselbe gilt für den Kapitalismus ohne Geld: Ohne Anreize gibt es keine Innovation. Historisch scheiterten zentral geplante Wirtschaften wie die Sowjetunion an diesem Mangel. Die Anekdote verdeutlicht: Sobald Leistung nicht belohnt wird, stagnieren alle. Reichenbach mahnt:
“Individualisierung, die Gleichheit fördern soll, führt oft zu Stigmatisierung.”
Wenn also Sie oder Ihr Kind demnächst – nach einer verdienten Pause – zur Schule zurückkehren, dann erinnern Sie sich an Reichenbachs Worte: “Schule ohne Noten ist wie Kapitalismus ohne Geld – das funktioniert nicht.”
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